Ulf Bollmann / Stefan Micheler
Einweihung einer Informationstafel zum Schicksal homosexueller
Opfer
in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme [am 16.6.1996]
Im Rahmen der Veranstaltung wurden die Namen von
71 Männern verlesen, die wegen homosexueller Betätigung im KZ
Neuengamme inhaftiert waren. Die Namen stehen stellvertretend für
einige hundert Homosexuelle, die im Konzentrationslager Neuengamme oder
seinen Außenlagern gefangen waren.
Von vielen Opfern des NS-Regimes wissen wir nicht einmal den Namen.
Nur für 71 ins KZ Neuengamme verschleppte homosexuelle Männer
sind die Namen aufgrund schriftlicher Quellen eindeutig nachweisbar. Wir
wollen die NS-Opfer aus der namenlosen Vergessenheit herausführen.
Die Namen der Häftlinge werden in unterschiedlichen
Quellen genannt. So in den Berichten von Mitgefangenen, die ihr Schicksal
dokumentiert haben, in den Eingangsbögen des KZs, auf Gefangenentransportlisten
von und nach Neuengamme. Von nur wenigen homosexuellen Neuengamme-Häftlingen
gibt es autobiographische Berichte, oder ihre Biographien sind in jüngster
Zeit aufgezeichnet worden. Auch Gefangenenpersonalakten verschiedener Gefängnisse
und Strafjustizakten geben die Haft in Neuengamme an. In Hamburg ist in
den letzten Jahren eine Vielzahl dieser Akten vernichten worden, was dazu
beigetragen hat, daß manche NS-Opfer für uns immer namenlos
bleiben werden.
Die genannten Männer gelangten aus unterschiedlichen
Gründen in die Hände des Verfolgungsapparates von Staat, Polizei,
Justiz und Medizin.
Viele wurden bei Razzien in Homosexuellenlokalen
oder auf Klappen aufgegriffen. Andere wurden von Bekannten, Nachbarn oder
ArbeitskollegInnen denunziert. Auch wurden die Namen vieler von anderen
Opfern unter dem Druck der polizeilichen Verhöre preisgegeben.
In der Regel standen die Rosa-Winkel-Häftlinge
in der Hierarchie der Konzentrationslager weit unten. Im KZ Neuengamme,
wo die Häftlinge mit dem rosa Winkel eine vergleichsweise kleine Gruppe
bildeten, gelang es einigen von ihnen jedoch, in der Lagerleitung eingesetzt
zu werden. Auch homosexuelle Kapos sind nachweisbar.
Das Schicksal der genannten Häftlinge ist sehr
unterschiedlich: Wenige waren nur kurz im KZ und kamen wieder frei. Einige
überlebten das KZ. Diese waren nach dem Krieg erneut Verfolgung ausgesetzt.
Andere wurden in andere KZs gebracht und dort ermordet. Auch unter den
Toten der Cap Arcona befanden sich Rosa-Winkel-Häftlinge. Nachweisbar
sind in Neuengamme mindestens 33 homosexuelle Männer ums Leben gekommen.
Die genaue Zahl der Todesopfer ist unbekannt, wird aber vermutlich deutlich
höher liegen.
Es sei hier noch einmal darauf verwiesen, daß
sich hinter jedem Namen die Biographie eines Menschen befindet, dessen
Leben durch das Praktizieren von Sexualität oder Ausleben von Gefühlen,
die der herrschenden Elite unliebsam waren, ruiniert wurde.
Ulf Bollmann / Stefan Micheler
Juni 1996
Bollmann, Ulf
/ Micheler, Stefan: Einweihung einer Informationstafel zum Schicksal homosexueller
Opfer des Nationalsozialismus in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme [16.6.1996].
In: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.): Die frühen Nachkriegsprozesse.
Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in
Norddeutschland. Heft 3, Bremen 1997, S. 179.
http://www.stefanmicheler.de/wissenschaft/art_ngtafel_1997.html