Birgit Bauer / Stefan Micheler

Queer Studies an den Hamburger Hochschulen –
 
Ein Projekt der AG LesBiSchwule Studien/Queer Studies
 



äbersicht
  • Die Bedeutung von Gender und Queer Studies für Wissenschaft und Gesellschaft
  • Die Notwendigkeit von Queer Studies
  • Die AG LesBiSchwule Studien/Queer Studies
  • Wozu LesBiSchwule Studien/Queer Studies an den Hamburger Hochschulen?
  • Wie könnte ein Studiengang und Institut Gender/Queer Studies an den Hamburger Hochschulen aussehen?
  • Nachweis

  • In Heft 3/99 hat Birgit Bauer von der AG LesBiSchwule Studien/Queer Studies versucht, die Frage "Was heißt hier queer?" aus der Sicht der "Queer Theory" zu beantworten. In diesem Heft stellen Birgit Bauer und Stefan Micheler die bisherigen Aktivitäten der AG LesBiSchwule Studien/Queer Studies an der Universität Hamburg vor und informieren über die Aktivitäten zur Einrichtung eines hochschulübergreifenden Studiengangs und die Einrichtung eines Instituts Gender/Queer Studies.
     
    Die Bedeutung von Gender und Queer Studies für Wissenschaft und Gesellschaft zur äbersicht

    Eine Institutionalisierung von Gender und Queer Studies ist notwendig, um Versäumnisse in der bisherigen Forschung zu relativieren. Eine Gleichberechtigung von Männern und Frauen sowie von hetero, bi- und homosexuelle lebenden Menschen ist in der westlichen Welt bisher nicht gegeben. Dies gilt auch für die Wissenschaft: Alleine schon die geringe Anzahl von Professorinnen an den deutschen Universitäten, die nur einen Bruchteil des Anteils von Frauen in der Bevölkerung oder unter Studierenden ausmacht, zeigt, dass institutionalisierte Wissenschaft hier hauptsächlich von Männern betrieben wird.

    Geschlechterbeziehungen und sexuelle Identitäten sind Ergebnisse einer historischen Entwicklung und befinden sich in einer ständigen gesellschaftlichen Debatte. Nur vertiefende Untersuchungen und fundierte Forschungsergebnisse können das Wissen schaffen, das diese gesellschaftlichen Debatten angemessen und seriös begleitet und forciert. Diese Forschungen sind dabei aber mitnichten als Selbstzweck oder gar Nabelschau von Frauen, Schwulen, Lesben, Bisexuellen oder Transgendered[1] abzutun. Sie dienen der weiterhin notwendigen Emanzipation dieser Gruppen und der Demokratisierung der Gesellschaft.

    Die Notwendigkeit von Queer Studies zur äbersicht

    Gleichgeschlechtlich liebende und handelnde Menschen sind nach wie vor gesellschaftlich diskriminiert, was deutlich negative Auswirkungen auf viele Aspekte ihres Lebens hat. In den westlichen Gesellschaften gilt Heterosexualität nach wie vor als Norm, die auf unterschiedlichen Ebenen gesellschaftlich vermittelt wird, nach der sich die Individuen zu richten haben. Andere Varianten sexuellen Verhaltens, sowie darauf aufbauende Lebensentwürfe und Partnerschaften, werden an dieser Norm gemessen und als abweichend abgewertet. Diese Heteronormativität wird politisch kaum reflektiert, obwohl sie erst die Basis für konkrete Vorurteile und Ausgrenzungspraxen gegenüber homosexuellen, bisexuellen und transgendered Menschen, also Homophobie, Biphobie und Transphobie schafft.

    Heteronormativität betrifft Menschen, die nicht dem herrschenden Bild von Männlichkeit oder Weiblichkeit entsprechen, in unterschiedlicher Weise. Schwule Sexualität verunsichert einerseits die vorherrschende männliche Identität und ist daher von gesellschaftlicher Ausgrenzung bedroht. Die bestehende Geschlechterordnung gibt Schwulen als Männern andererseits aber die Möglichkeit, an männlichen Privilegien teilzuhaben. Dagegen unterliegt lesbische Sexualität einer noch größeren Gefahr der Marginalisierung, weil sie der Weiblichkeitsnorm, die Frauen als Objekte von Männern definiert, widerspricht. Transgendered, die gegen die gesellschaftliche Norm der Zweigeschlechtlichkeit oder den Verbot des Wechsels des Geschlechts verstoßen, treffen auf noch größere Ablehnung. Intersexe werden oft unmittelbar nach der Geburt zwangsweise an den äußeren Geschlechtsmerkmalen operiert, um sie geschlechtlich vermeintlich eindeutig zu machen. Ihr Recht auf freie Selbstbestimmung wird durch diesen Eingriff empfindlich verletzt.

    Heteronormativität, Homophobie und Transphobie sind in der deutschen Bevölkerung weit verbreitet, wie soziologische Studien belegen. Diese Vorurteile und die rechtliche Benachteiligung machen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgendered zu ausgegrenzten Minderheiten. Ehe und Kleinfamilie gelten weiterhin als die gesellschaftlich verbindliche Norm, mit der die Privilegierung heterosexueller Lebensentwürfe gerechtfertigt wird. Von der völligen rechtlichen und sozialen Gleichstellung von Homosexuellen und Heterosexuellen ist diese Gesellschaft noch weit entfernt.

    Die gesellschaftlichen Entwicklungen, die durch die Emanzipationsbestrebungen von gleichgeschlechtlich liebenden und transgendered Menschen in den letzten hundert Jahren ausgelöst wurden, werfen viele Fragestellungen auf, die wissenschaftlich bislang nur unzureichend bearbeitet wurden. Das Wissen über Ursachen von Ausgrenzung – insbesondere Diskriminierungen auf Grundlage von Sexualität und Geschlecht – ist in unserer Gesellschaft noch rudimentär. Konzepte zur Verhinderung konkreter Ausgrenzungen und Diskriminierungen und zum Abbau fest verwurzelter psychischer Abwehrmechanismen sind bisher kaum entwickelt. Die Normen der Heterosexualität und der Zweigeschlechtlichkeit werden als Grundlage der Ausgrenzung und als historischer und sozio-kultureller Kontext homosexueller oder transgendered Identitäten auch in der Wissenschaft häufig ignoriert. Die Erforschung dieser Zusammenhänge wäre aber eine notwendige Bedingung für eine neue und insbesondere kritische Sichtweise auf die scheinbar selbstverständliche und "natürliche" Normalität von Heterosexualität.

    Die unterschiedlichen Einzeldisziplinen können dabei auf diese Fragestellungen nur ungenügend reagieren. Dies liegt am eingeschränkten Blickwinkel einzelner Disziplinen, der unzureichenden Forschung und den knapp bemessenen Mitteln für diese Forschung. Daher besteht die Notwendigkeit, einen institutionellen Rahmen zu schaffen und die entsprechenden Ressourcen bereitzustellen, um diese Zusammenhänge interdisziplinär zu erforschen und Wissen zu verbreiten. Zudem gilt es, MultiplikatorInnen auszubilden, die diese gesellschaftspolitisch relevanten Ergebnisse und das so erarbeitete Sachgebiet in der Öffentlichkeit etablieren helfen.

    Die wissenschaftlichen Kenntnisse und das gesellschaftliche Wissen über die Gründe homophober und transphober Diskriminierung müssen zunächst aus einer emanzipatorischen Perspektive erweitert werden, um Konzepte zu ihrer Bekämpfung entwickeln zu können. Darüber hinaus muss eine kritische Forschung die Bedingungen von Emanzipation und Aufklärung selbst untersuchen. Denn diese bergen die Gefahr, durch Gleichstellung einer sozialen Gruppe das Prinzip von Norm und Abweichung zwar inhaltlich zu verschieben, seine Wirkungsweise aber beizubehalten und dadurch wiederum neue Ausgrenzungen zu produzieren.

    Darüber hinaus sind queere Forschung und ein Queer- Studiengang aber mitnichten nur für "Betroffene" oder deren Emanzipation interessant oder bedeutsam. Wer glaubt, dieser Bereich sei für ihn nicht relevant, weil er nicht unter die Kategorien homosexuell, bisexuell, transgendered, usw. fällt, irrt. Denn die als natürlich hingenommenen Kategorien heterosexuell, männlich, weiblich usw. sind ebenso historisch und kulturell spezifische Identitäten, die nicht einfach da sind, sondern in komplexen Prozessen gesellschaftlich und individuell hergestellt werden. Dabei bedürfen sie jeweils der "verworfenen" Kategorien homosexuell, transgender usw., um sich durch deren Ausschluss und Ausgrenzung selbst als das "Natürliche", "Normale" zu erfinden.

    Angesichts dessen sind Queer Studies für Heterosexuelle nicht nur interessant, um sich über queere Mitglieder der Gesellschaft und ihre Lebensweisen zu bilden, und dieses Wissen im Alltag und professionell einzusetzen, z.B. in Beratungsstellen. Denn auch Heterosexuelle sind überall mit queeren Menschen konfrontiert, auch in Bereichen, die nicht explizit mit Geschlecht oder Sexualität in Verbindung stehen. Sondern Queer Studies schaffen ein Verständnis davon, dass das, was gesellschaftlich als "normal" gilt, so selbstverständlich nicht ist. Mit einer queeren Sichtweise geht ein Perspektivwechsel einher, der die sich für "normal" Haltenden zur Selbstreflexion zwingt. Da die queere Perspektive zeigt, dass weder Heterosexualität noch Zweigeschlechtlichkeit "natürlich" sind, muss sich jedeR mit der eigenen Position innerhalb der Normen um Geschlecht und Sexualität herum befassen, und Herstellung, Erhaltung und Verschiebung der heute in unserem Kulturkreis vorherrschenden Identitäten und Kategorien reflektieren, sowie die Funktionen, die diese in unserer Gesellschaft erfüllen. Die Erkenntnis, dass Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit – ebenso wie andere vermeintlich natürliche Kategorien wie "Rasse" – keine unveränderlichen biologischen Größen darstellen, sondern historisch und kulturell spezifische Konstruktionen, die daher Veränderungen unterliegen und in einer Gemeinschaft auch immer wieder neu verhandelt werden, kann somit zur weiteren Demokratisierung der Gesellschaft beitragen.

    Die AG LesBiSchwule Studien/Queer Studies zur äbersicht

    1992 war das Gründungsmitglied der AG Lüder Tietz zu einem Studienaufenthalt in Toronto/Kanada und lernte dort an der Universität die Gay and Lesbian Studies kennen. Von dieser Einrichtung war er so begeistert, dass er die Idee einer solchen Institutionalisierung les-bi-schwuler Forschung auch nach Deutschland tragen wollte. Zurück in Hamburg regte er daher im AStA-Schwulenreferat und bei Lesben aus dem FrauenLesbenRat an der Universität Hamburg an, eine AG zu gründen, die sich für die Einrichtung eines les-bi-schwulen Lehr- und Forschungsinstituts an den Hamburger Hochschulen einsetzt. Eine Gründungssitzung fand im Sommer 1993 statt. Die AG LesBiSchwule Studien setzte sich seitdem wechselnd aus männlichen und weiblichen Studierenden, Promovierenden und aus Lehrenden zusammen.

    Wissenschaftliche Arbeit und die Vorlesungsreihe "Jenseits der Geschlechtergrenzen"

    In den ersten Jahren arbeitete die AG vor allem inhaltlich: So wurden neue Theorieansätze betrachtet, wie etwa von Judith Butler, und eigene Forschungsarbeiten vorgestellt und diskutiert. 1994 übernahm die AG die seit 1990 vom Schwulenreferat organisierte Ringvorlesung "Homosexualität in Kultur und Wissenschaft" und taufte diese in "Jenseits der Geschlechtergrenzen" um. Seitdem koordiniert die AG diese Vortragsreihe, die jedes Semester im Rahmen des Allgemeinen Vorlesungswesens der Universität Hamburg stattfindet. Die Vorträge decken ein breites Spektrum der Sexualitäten- und Geschlechterforschung ab; besondere Beachtung bei der Auswahl finden hier Themen, die im üblichen universitären Lehrbetrieb eher ausgeblendet werden. Das betrifft vor allem explizit trans-les-bi-schwule Themen und neuere feministische und sonstige theoretische Ansätze zu Geschlechtern und Sexualitäten, z.B. im Bereich der Queer Theory. Es finden sich neben bereits etablierten Namen wie Gunter Schmidt, Marianne Schuller, Stefan Hirschauer oder Rüdiger Lautmann zahlreiche NachwuchswissenschaftlerInnen unter den Vortragenden, weil gerade sie die Forschung in diesen Bereichen tragen. Der Großteil der Vorträge ist im geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich angesiedelt, aber es finden sich auch z.B. rechtswissenschaftliche Themen; viele Vorträge tragen zudem einen interdisziplinären Charakter.[2]

    Da die Vorträge Teil des Allgemeinen Vorlesungswesens der Universität sind, also auch ZuhörerInnen angesprochen werden sollen, die sich nicht mehr im universitären Rahmen bewegen oder sich noch nie dort bewegt haben, legt die AG Wert darauf, dass die Vorträge möglichst allgemeinverständlich gehalten werden, der Umfang einer zumutbaren Konzentrationszeit entgegenkommt und genug Zeit für Fragen und Diskussionen bleibt. Die AG möchte damit dazu beitragen, dass trans-les-bi-schwule Forschung und Theoriebildung nicht zum Elfenbeinturm-Phänomen verkommt. – Die wissenschaftlichen Forschungen haben eine Bedeutung für die trans-les-bi-schwulen Bewegungen und Subkulturen sowie für gesellschaftliche Prozesse. Trans-les-bi-schwule oder queere Wissenschaft ist dabei untrennbar mit der politischen Forderung nach Emanzipation der ihr zugrundeliegenden Bewegungen verbunden, ohne die sie gar nicht erst hätte entstehen können. Seit Semestern werden die Vorlesungen von einer großen Zahl Interessierter, auch von außerhalb der Universität, besucht. Nicht zuletzt dies unterstreicht den gesellschaftlichen Bedarf nach "queerem Wissen". Auch zeigt sich, dass die Konzeption der Vortragsreihe, universitätsintern und an eine interessierte Öffentlichkeit gewendet Forschungsergebnisse darzustellen und kontroverse Diskussionen zu ermöglichen, sich bewährt hat.

    Aktivitäten zur Einrichtung eines Forschungsinstituts und Studiengangs

    Die AG LesBiSchwule Studien begann Mitte der 1990er Jahre, die Einrichtung eines LesBiSchwulen Instituts und (Teil-)Studiengangs, einer entsprechenden Bibliothek und eines Dokumentationszentrums zu forcieren. Podiumsdiskussionen wurden organisiert, Kontakte zu anderen WissenschaftlerInnen in Hamburg und in anderen Städten sowie zu Hamburger PolitikerInnen geknüpft, um einerseits von den Erfahrungen anderer profitieren zu können und andererseits BündnispartnerInnen zu finden. Zu einem Kontakt mit der Women's and Gender Studies Gruppe (WGS), die einen Frauenstudiengang an den Hamburger Hochschulen etablieren möchte, kam es leider erst im Herbst 1999.

    Gleichzeitig arbeitete die AG intensiv an der Konzeption eines Instituts und eines Studiengangs, wobei immer wieder neue Modelle erarbeitet, diskutiert, verworfen und neu erarbeitet wurden. 1998 fand die Diskussion schließlich einen vorläufigen Abschluss mit der Erstellung eines Konzepts, das nun als Grundlage für Diskussionen außerhalb der Gruppe dienen konnte. Im November 1998 gab die AG die Broschüre "LesBiSchwule Studien an den Hamburger Hochschulen – Kurzkonzept für die Einrichtung eines interdisziplinären Instituts" heraus, die breit verschickt und verteilt wurde. Die Auflage von 500 Stück war schnell restlos vergriffen. [3] Neben dem Kurzkonzept finden sich in der Broschüre die Dokumentation der bis dahin durchgeführten Ringvorlesungen (bis dahin 15 Semester, nun 18 Semester) und der Wortlaut eines Beschlusses der Vollversammlung der Studierenden der Universität Hamburg, der Hochschule für Wirtschaft und Politik und der Fachhochschulen vom 4.12.1997: "Die Studierenden der Hamburger Hochschulen fordern die Einrichtung eines Instituts für LesBiSchwule Studien an der Universität Hamburg samt Bibliothek und Dokumentationsstelle für die Geschichte und Gegenwart von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transidentischen. Dieses Institut soll ein Beitrag zur Einrichtung eines hochschulen- und fächerübergreifenden Teilstudienganges ‚Geschlechter- und Sexualitätenforschung‘ werden, der als Nebenfach für alle Magister- und Diplomstudiengänge angeboten werden soll."

    Weitere Aktivitäten der AG

    Am 7. Mai 1999 veranstaltete die AG einen Studientag Queer Studies an der Universität Hamburg und präsentierte sich damit einer breiteren Öffentlichkeit von Universitätsangehörigen, Mitgliedern der trans-les-bi-schwulen Subkultur und sonstigen Interessierten.[4] Die zahlreichen BesucherInnen erwartete ein breit gefächertes Programm, das Vorträge und Workshops ebenso umfasste wie Informationen zu den Aktivitäten und Forderungen der AG, ein kulturelles Rahmenprogramm mit Ton-Bild-Visionen, Ausstellungen, Filmen, einer Tunten-Performance, sowie eine Veranstaltung mit Hamburger NachwuchswissenschaftlerInnen und eine Podiumsdiskussion mit VertreterInnen aus Wissenschaft und Politik. Unterstützt wurde der Studientag vom FrauenLesbenRat und vom Schwulenreferat der Universität, sowie durch Büchertische und Stände mit Informationsmaterialien von les-bi-schwulen Organisationen aus Hamburg.

    Seit dem Studientag und aufgrund von inhaltlichen Diskussionen hat der Name der AG den Zusatz Queer Studies erhalten, bzw. ist bei einigen unter dem Namen Queer Studies hängengeblieben.

    Von Juni 1999 bis einschließlich März 2000 hat der AStA der Universität der AG eine "Projektstelle LesBiSchwule Studien" finanziert, um den Erfolg des Studientags nicht wieder verpuffen zu lassen und eine nachhaltigere Arbeit zu ermöglichen. Mithilfe dieser Stelle konnte die AG kontinuierlicher politische und inhaltliche Arbeit in einem Umfang leisten, der ehrenamtlich nicht mehr zu bewältigen gewesen wäre, um das Projekt eines Teilstudiengangs voranzutreiben.

    Derzeit engagiert sich die AG nicht nur im Rahmen der Planung eines Teilstudiengangs Gender/Queer Studies an den Hamburger Hochschulen, sondern arbeitet an verschiedenen weiteren Projekten, z.B. dem Ausbau und der Digitalisierung der Bibliothek des Schwulenreferats in Zusammenarbeit mit den Schwulenreferenten, der Veröffentlichung der Vortragsreihe, der Planung eines Seminartags im Sommersemester 2000 und eines hochschulübergreifenden Queer-Seminars im Wintersemester 2000/01, sowie eines Queer-Kongresses im Jahr 2001.

    Wozu LesBiSchwule Studien/Queer Studies an den Hamburger Hochschulen? zur äbersicht

    Während es in den USA, Kanada und vereinzelt auch in den Niederlanden seit den 70er Jahren Women’s Studies Programme und in jüngeren Jahren vermehrt auch Gender Studies und Gay and Lesbian Studies, LesbianGayBisexualTransgender Studies oder Queer Studies[5] Programme gibt, gab es in Deutschland erst in den 90er Jahren erste Ansätze, Gender Studies zu institutionalisieren, in der Regel in Form von Neben- und teilweise auch Hauptfachstudiengängen.[6] – Bisher einmalig blieben die SchwulLesbischen Studien (SLS) an der Universität Bremen, deren Finanzierung jedoch schon nach wenigen Jahren unter der "Großen Koalition" im Bundesland Bremen auslief. Betrachtet man die aktuellen Entwicklungen in der feministischen und trans-les-bi-schwulen Theoriebildung, so fällt auf, dass die Länder, in denen die Institutionalisierung entsprechender Forschung seit längerem weiter fortgeschritten ist, international die Nase vorn haben. Die spannendsten und vielversprechendsten neuen Theoriebildungen, z.B. queer theory, stammen fast ausschließlich aus den USA.

    In Deutschland gibt es viel nachzuholen; Themen wie Bisexualität, Transgender, Multikulturalität usw. finden bisher kaum Berücksichtigung. Leider mangelt es gleichzeitig auch an eigenem Profil; nur wenige NachwuchswissenschaftlerInnen versuchen, die aus den USA stammenden Fragestellungen auf spezifische deutsche Verhältnisse zu übertragen, bzw. eigene Fragestellungen zu entwickeln. Beispiele wären etwa die unterschiedliche Entwicklung in den beiden deutschen Staaten im 20. Jahrhundert, eine spezifisch deutsche Ausprägung rassistischer Strukturen seit 1945 und deren Wechselwirkungen mit heteronormativen und homophoben Strukturen oder die Aufarbeitung der Geschichte der homosexuellen und transgendered Opfer des Nationalsozialismus und die Folgen der NS-Zeit für Bilder von Homosexualität und Transsexualität, z.B. das Bild des schwulen Nazis oder die Verbindung von Antisemitismus und Homophobie, bzw. sexueller Denunziation. Die AG äußerte sich jüngst zu einer großen Anfrage der SPD-Bürgerschaftsfraktion "Erinnern statt vergessen – Die Geschichte der Verfolgung vergessener Opfer des Nationalsozialismus in Hamburg von 1933 bis 1945" in Bezug auf Forschungen zu homosexuellen Opfern wie folgt: "Die AG LesBiSchwule Studien/Queer Studies sieht eine Perspektive für dieses Forschungsfeld innerhalb der Universität nur in einer institutionellen Anbindung innerhalb eines Studiengangs Gender- und Queer-Studies sowie eines Instituts/Zentrums für Gender- und Queerforschung nebst Bibliothek und Archiv, da alle bisherigen Lehr- und Informationsangebote sowie Forschungsaktivitäten auf das persönliche Engagement Einzelner zurückzuführen sind und somit nur punktuell sein konnten."

    Aber nicht nur in den Geistes- und Naturwissenschaften, sondern auch gerade in praxisorientierten Disziplinen besteht ein großer fachlicher und gesellschaftlicher Wissensbedarf zu Geschlechter- und Sexualitätenforschung, weil Arbeitsalltag und grundlegende Planungen bestimmte Kenntnisse erfordern. – Dies gilt nicht nur für die Soziologie und Psychologie, sondern auch für die unterschiedlichen pädagogischen Fächer, die Gesundheits- und die Pflegewissenschaft aber auch für die Stadtplanung.

    Wie könnte ein Studiengang und Institut Gender/Queer Studies an den Hamburger Hochschulen aussehen? zur äbersicht

    An den Hamburger Hochschulen sollte ein Teilstudiengang Geschlechter- und Sexualitätenforschung angeboten werden. Der Studiengang soll Frauenforschung, Geschlechterforschung, feministische Forschung, Sexualwissenschaft und trans-les-bi-schwule Studien verbinden. Dieses Forschungsfeld beschäftigt sich zum einen mit Fragen der Geschlechterkonstruktionen und der Geschlechterverhältnisse in Geschichte und Gegenwart, zum anderen mit den Bedeutungen von sexuellen Handlungen, Beziehungen und Identitäten in verschiedenen Epochen und Kulturen. LesBiSchwule Studien sind integraler Bestandteil dieses weiter gefassten Forschungs- und Theorienfeldes. Women, Gender und Queer Studies gehören wissenschaftlich und politisch zusammen. Sie beschäftigen sich mit gleichen oder ähnlichen Phänomenen, sind teilweise aus den gleichen sozialen Bewegungen hervorgegangen und haben sich immer wieder wechselseitig wissenschaftlich beeinflusst.

    Die Hochschulen Hamburgs eignen sich aus vielen Gründen für den Aufbau dieses neuen Teilstudiengangs. Hier gab und gibt es durchaus schon Forschung und Lehrangebote zu einzelnen Aspekten der Geschlechter- und Sexualitätenforschung. Für Studierende, die sich speziell mit diesen Fragen beschäftigen wollen, gibt es jedoch in den meisten Fachbereichen der einzelnen Hochschulen zu wenig Angebote. In vielen Fächern gibt es kaum die Möglichkeit, kompetente Betreuung für Seminar- und Abschlussarbeiten zu finden. Durch die Kürzungen im gesamten Hochschul-Bereich werden derzeit weitaus weniger Veranstaltungen angeboten als noch in den 80er Jahren, da diese vielfach von AssistentInnen, wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und von Lehrbeauftragten durchgeführt wurden, deren Stellen ausgelaufen sind bzw. gestrichen wurden. Diesen Trend gilt es umzukehren. Nur ein eigener Studiengang und ein Institut können eine sinnvolle, koordinierte und nach wissenschaftlichen Kriterien gestaltete umfassende Ausbildung gewährleisten.

    Der Teilstudiengang soll als Nebenfach für alle Magister- und Diplomstudiengänge angeboten werden, bzw. als Schwerpunkt für Studiengänge, bei denen es kein Nebenfach gibt. Alle Prüfungsordnungen für die entsprechenden Studiengänge sind entsprechend zu ergänzen. Die Veranstaltungen sind außerdem für HörerInnen aller Fachbereiche und Hochschulen offen zu halten, ohne dass diese dafür im Teilstudiengang eingeschrieben sein müssen. Für diese HörerInnen sind qualifizierte Leistungsnachweise aus dem Teilstudiengang in ihren Studiengängen anzuerkennen. Bei der Einrichtung des Studiengangs sollte auf das bereits Bestehende – an der Universität Hamburg bestehen Geschlechterstudienschwerpunkte an mehreren Fachbereichen – zurückgegriffen werden, wie das beispielsweise in der Schaffung eines Schwerpunkts zu Geschlechterstudien an der Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP) zum Sommersemester 2000 geschehen ist.

    Darüber hinaus bedarf es der Etablierung eines interdisziplinären Instituts Gender/Queer Studies, um eine Kontinuität in der Lehre zu gewährleisten und um die Lehre durch interdisziplinäre Forschungsaktivitäten zu befruchten. In einem Institut könnte die Vernetzung bestehender Aktivitäten und die Entwicklung neuer Forschungvorhaben, die bisherige Lücken füllen sollten, stattfinden. Hierzu sollten auch GastdozentInnen und GastreferentInnen herangezogen werden, um auf dem internationalen Stand der Forschung zu stehen. Ein interdisziplinäres Institut würde dabei nicht die Lehre und Forschung in den Disziplinen überflüssig machen, sondern im Idealfall die Weiterentwicklung von Ansätzen dort stimulieren.

    Zu den wichtigen Aufgaben des Instituts würde die Unterhaltung einer Bibliothek und einer Dokumentationsstelle zählen. Die meiste Fachliteratur zu Geschlechter- und Sexualitätenforschung, insbesondere aber zu trans-les-bi-schwulen Studien, ist an den Hamburger Hochschulen nicht vorhanden, insbesondere neuere Veröffentlichungen. Sie muss bisher über Fernleihe – z. T. aus dem Ausland – beschafft werden. Die Einrichtung einer gut ausgestatteten Institutsbibliothek ist daher dringend geboten.

    Die Forschung, die in Deutschland geleistet wurde, ist ebenfalls schwer zugänglich, da es sich bisher meist um Magister- und Diplomarbeiten handelt. Daher soll eine Dokumentationsstelle alle Magister-, Diplom- und Doktorarbeiten im deutschsprachigen Raum zu trans-les-bi-schwulen Studien sammeln.

    Bisher gibt es in Deutschland auch keine öffentliche Dokumentation der Geschichte und Gegenwart von Schwulen, Lesben, Bisexuellen, Transgendered und Intersexen. Bisher müssen wichtige Materialien wie Zeitschriften, Broschüren und Flugblätter aus dem homodok-lebisch Archief in Amsterdam (Niederlande), oder aus privaten Archiven besorgt werden. Diverse Materialien werden in Deutschland unsystematisch bei vielen kleineren, oft nur wenige Jahre existierenden Gruppen in Privatinitiative gesammelt, sind aber längst nicht wissenschaftlich aufgearbeitet. Aufgabe der Dokumentationsstelle soll es daher sein, nach dem Amsterdamer Vorbild eine zentrale Sammlung in Deutschland aufzubauen und interessierten WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen, JournalistInnen, MultiplikatorInnen und LaiInnen zugänglich zu machen.

    Um die Aktivitäten des Instituts und der Dokumentationsstelle dem Fachpublikum und einer breiteren Öffentlichkeit transparent und zugänglich zu machen, sollte regelmäßig eine Publikation herausgegeben und verbreitet werden. Diese könnte auch die weitere Vernetzung von Forschungsaktivitäten über Hamburg hinaus unterstützen und so eine notwendige Ergänzung zu einem Forum wie der Ringvorlesung der AG darstellen.

    Das eigene Hamburger Profil würde zum einen im Zusammenwirken des Instituts, des Studiengangs, des Dokumentationszentrums und der Publikation bestehen, zum anderen in der Integration der genannten Forschungsfelder. Ein Projekt dieser Art wäre europaweit einmalig. Bisher einmalig wäre auch ein hochschulübergreifender Studiengang, in den die unterschiedlich ausgerichteten Hochschulen Hamburgs jeweils etwas hineingeben und herausziehen würden, wobei jede der beteiligten Hochschulen ihre spezifischen Fächerprofile und Zuschnitte der Studiengänge einbringen kann.

    Sowohl die PräsidentInnen der Hamburger Hochschulen als auch die Wissenschaftsbehörde unterstützen die Forderung nach einer Institutionalisierung von Gender und Queer Studies. Erste Planungsschritte werden gerade unternommen. Alle Interessierten – Studierende und Lehrende – sind somit aufgefordert, sich konstruktiv an der Gestaltung des Studiengangs und des Instituts zu beteiligen. – Sowohl innerhalb der eigenen Hochschule als auch in hochschulübergreifenden Zusammenhängen. Die AG LesBiSchwule Studien / Queer Studies freut sich über die Mitarbeit von Studierenden (und Lehrenden) der Fachhochschule.

    Für die AG LesBiSchwule Studien / Queer Studies

    Birgit Bauer und Stefan Micheler
    Mai 2000

    Kontakt:
    AG LesBiSchwule Studien / Queer Studies
    AStA der Universität Hamburg, Von-Melle-Park 5, 20146 Hamburg
    040/45020437
    http://schwule.asta.uni-hamburg.de/lbsst.html
    schwule@asta.uni-hamburg.de


    [1] Wir verwenden das englische Substantiv und Adjektiv "transgendered", da es im Deutschen keinen Oberbegriff gibt, der Transsexuelle, Transgender-Menschen und Intersexuelle umfasst.

    [2] Eine Dokumentation der ersten 15 Semester findet sich im Kurzkonzept der AG vom November 1998. Im Sommersemester 2000 findet Teil 18 statt. Das Programm ist in dieser Ausgabe von Standpunkt: sozial abgedruckt. Eine Veröffentlichung eines Teils der Vorträge wird gerade vorbereitet.

    [3] Das Kurzkonzept sowie andere Schriften der AG sind auf der Homepage des Schwulenreferats einsehbar: http://schwule.asta.uni-hamburg.de/lbsst.html

    [4] Das Programm sowie eine Dokumentation des Studientages findet sich ebenfalls auf der Homopage des AStA-Schwulenreferats.

    [5] Einen eindrucksvollen Überblick über den in den USA wirklich landesweit praktisch flächendeckenden Umfang dieser Programme erhält man übers Internet. Eine Startseite wäre die Homepage der CLAGS: http://www.clags.org

    [6] Z.B. Gender Studies in Berlin, Potsdam und Oldenburg, ein Feministisches Zentrum in Bremen.


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    Bauer, Birgit / Micheler, Stefan:
    Queer Studies an den Hamburger Hochschulen.
    Ein Projekt der AG LesBiSchwule Studien / Queer Studies.
    In: standpunkt: sozial. hamburger forum für soziale arbeit,
    Heft 1, 2000, S. 99-105.


    http://www.stefanmicheler.de/wissenschaft/art_queerstudieshh_2000.html