Universität Hamburg
Gender Studies
Wintersemester 2004/2005
 
Dr. Stefan Micheler, LB, Gender Studies

Das Stereotyp des homosexuellen Nazis. 
Genese und Tradierung vom Reichstagsbrand 1933 über Faschismus-Theorien 
bis zu Lothar Machtans "Hitlers Geheimnis" 2001

Art der Veranstaltung: 00.953, Projektseminar/Mittelseminar ISW Fach: Gender & Queer Studies
Zeit/Ort: 2st., tw. im Block: Fr 29.10., Fr 19.11., jew. 16-18, Fr 26.11., 15-20, Sa 27.11., 10-16.30, Sa 4.12., 10-18,
jew. AP 1, Rm 104 
Beginn: 29.10.04
 
 

Kommentar:

Das zweifelhafte wissenschaftliche Verdienst des linken Sexualtheoretikers Wilhelm Reich ist es, in den Endjahren der Weimarer Republik eine Verbindung von Homosexualität und Faschismus nachhaltig in die Sexualtheorie und die Faschismusanalyse eingebracht zu haben. Als die Nazis 1933 die Kommunisten für den Reichstagsbrand verantwortlich machten, reagierte deren Exil-Presse mit der Behauptung, der Brandstifter Marinus van der Lubbe sei ein "Lustknabe" des SA-Führers Ernst Röhm gewesen. Röhm war 1931 von sozialdemokratischen Blättern als homosexuell denunziert worden. Nach der Ermordung Röhms 1934 bezeichnete die Exilpresse weitere führende NSDAP-Mitglieder, darunter auch und gerade Adolf Hitler, - fälschlich - als homosexuell. Vermeintliche Partner und Augenzeugen wurden als sichere Quellen genannt und zitiert. Nicht nur der US-amerikanische Geheimdienst versuchte zu ergründen, ob an den Gerüchten über Hitlers Homosexualität etwas Wahres sei, sondern das Stereotyp wurde auch durch die Kriegspropaganda der USA verbreitet.
Die Theorie vom grundlegenden Zusammenhang von Faschismus und Homosexualität und die vermeintlichen Belege der Homosexualität führender Nazis wurden immer wieder aufgegriffen, abgeschrieben, damit tradiert und verstärkt. Die Theorie der Nähe von Homosexualität und Faschismus fand Eingang in die Studien der "Kritischen Theorie" der Frankfurter Schule. Erich Fromm, Theodor W. Adorno und Max Horkheimer verstärkten sie in ihrer Theorie vom "autoritären Charakter", das "Homosexuelle" wurde zur Verkörperung des "Pathologischen". Das Stereotyp wurde von Teilen der Studierendenbewegung Ende der 60er Jahre übernommen und bildete auch die Grundlage für die Männerbund-Analysen von Nicolaus Sombart und Klaus Theweleit, die von den 80er Jahren bis Mitte der 90er Jahre entsprechende Forschungen und Theoriebildungen maßgeblich prägten. Der Psychologe Manfred Koch-Hillebrecht und der Historiker Lothar Machtan bedienten sich in jüngster Zeit wieder an den vermeintlichen Primärquellen, um eine angebliche Homosexualität Hitlers belegen zu können. Während Koch-Hillebrechts Veröffentlichung zu Recht kaum Beachtung fand, wurde Machtans Buch national und international trotz aller vernichtenden Kritik breit wahrgenommen.
Im Seminar sollen die Genese und Tradierung des Stereotyps betrachtet werden. Dabei ist auch zu ergründen, welche Diskurse der politischen Rechten Wilhelm Reich in seiner Theorie aufgriff (etwa Hans Blühers Männerbund, Wahrnehmung rechter Männerbünde von links).
Wir wollen uns mit den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Rezeptionen des Stereotyps des homosexuellen Nazis in unterschiedlichen Dekaden bis in die Gegenwart beschäftigen. Hierbei soll auch gefragt werden, wieso das Stereotyp eine derart große Verbreitung fand und so langlebig ist (Verbindung von politischer Theorie, Dämonisierung und Voyeurismus?). Als Quellen dienen dabei neben wissenschaftlichen Veröffentlichungen auch historische und zeitgenössische Zeitungsartikel, Karikaturen, Flugblätter, Literatur und Buchbesprechungen. Ggf. kann auch auf Film- und Fernsehbeiträge zurückgegriffen werden.
 



Leistungsschein: regelmäßige aktive Teilnahme, Hausarbeit (10-14 Seiten), Gestaltung einer Sitzung im Rahmen einer Arbeitsgruppe;
Teilnahmesch.: regelm. aktive Teilnahme.
 


Literatur:
Zinn, Alexander: "Die Bewegung der Homosexuellen". Die soziale Konstruktion des homosexuellen Nationalsozialisten im antifaschistischen Exil. In: Grumbach, Detlef (Hg.): Die Linke und das Laster. Schwule Emanzipation und linke Vorurteile, Hamburg: MännerschwarmSkript 1995, S. 38-84.
Halle, Randall: Zwischen Marxismus und Psychoanalyse: Antifaschismus und Antihomosexualität in der Frankfurter Schule, in: Zeitschrift für Sexualforschung, 9. Jg., 1996, S. 343-357.
 

http://www.stefanmicheler.de/wissenschaft/llv_0405_stereotyp.html