Stefan Micheler
 
Lothar Machtan: Hitlers Geheimnis. Das Doppelleben eines Diktators, Alexander Fest Verlag Berlin, 460 Seiten, 44,79 DM.
In: hinnerk 12/2001, S. 19. 

Klatsch, Tratsch und Homophobie
Eine misslungene Hitler-Biografie erregt weltweit Aufsehen.

Der Hamburger Historiker Stefan Micheler hat für hinnerk das Buch gelesen und die Berichterstattung verfolgt.

Am 6. Oktober lautete die Titelzeile der Bild-Zeitung: "Neue Erkenntnisse der Geschichts-Forschung: War Hitler schwul?" Äußerst selten finden sich an dieser prominenten Stelle Forschungsergebnisse zur Geschichte des Nationalsozialismus. Hitlers Privatleben ist der Boulevard-Presse jedoch immer eine Schlagzeile wert, besonders, wenn es sich um derart schlüpfrige "Enthüllungen" handelt - Hitler sells.
Nicht nur die Bild-Zeitung, sondern auch seriösere Medien im In- und Ausland, die eigentlich nicht im Verdacht stehen, über Sensationsberichte die Auflage steigern zu wollen, haben mit ähnlichem Tenor über das Buch berichtet. Bemerkenswert: Wenn positive Identifikationsfiguren in die Ahnenreihe der Homosexuellen eingeordnet werden, wie etwa jüngst Robin Hood oder Georg Friedrich Händel, klassifizieren Medien und etablierte Wissenschaftler dies oft als den Unsinn ab, der sich auch hinter der Hitler-Enthüllung verbirgt.
Lothar Machtans Hitlers Geheimnis. Das Doppelleben eines Diktators ist Anfang Oktober in Deutschland und gleichzeitig in elf weiteren Ländern erschienen. Die Strategie der Marketing-Abteilung des kleinen Berliner Alexander Fest Verlags, das Buch als sensationelles Enthüllungswerk über das ultimative Geheimnis Adolf Hitlers zu vermarkten, scheint aufgegangen zu sein. Weniger gute Arbeit haben das Lektorat und die Verlagsleitung geleistet, denn das Buch enthält nichts Neues über Adolf Hitler, sondern nur eine Reihe alter Klatsch- und Tratschgeschichten, die längst bekannt waren und als solche von der Geschichtswissenschaft eingeordnet wurden. Machtan kann seine Behauptung, Hitler sei homosexuell gewesen, an keiner Stelle des 460-seitigen Werkes belegen. Machtan, der als Universitätsprofessor für Geschichte die Theorien und Methoden seines Faches kennen sollte, hat einen Schlüssellochreport vorgelegt, an dem wenig stimmig ist. Hitler hörte gerne Opern, das ist natürlich ein schlagender Beweis. Auch hat Frauenfeindlichkeit mit Homosexualität genauso viel oder genauso wenig zu tun wie mit Heterosexualität. Machtan gelingt es nicht, die von ihm herangezogenen Quellen kritisch zu betrachten und einzuordnen.
Die Behauptung, Hitler sei homosexuell, geht unter anderem auf die deutsche Exil-Presse zurück, die den Nationalsozialismus auch als "Bewegung der Homosexuellen" darstellte. Dieser Vorstellung hängt auch Machtan an. Der Nationalsozialismus ist aber eine Bewegung Heterosexueller gewesen, in der es auch homosexuelle Männer und Frauen gab - nicht mehr oder weniger als in der Gesamtbevölkerung. Machtan hat sich weder mit der grundlegenden Literatur zu diesem Thema auseinander gesetzt noch hat er auch nur eine der vielen Veröffentlichungen zur Geschichte der Homosexualität als gesell-schaftliches Konstrukt zur Kenntnis genommen. Er wirft so denn auch munter die Begriffe sexuelle Orientierung, homosexuelle Veranlagung, sexuelle Identität, homosexuell, homoerotisch, homophil und homosozial durcheinander. Selbstverständlich ist der Nationalsozialismus in starkem Maße von Männerbünden geprägt gewesen, in denen Männer aufeinander bezogen waren, teilweise auch "erotisch". Mit Sexualität im Sinne von genitalen Handlungen hat dies allerdings nichts zu tun. Dies hat insbesondere der US-amerikanische Historiker George L. Mosse bereits in den 80er Jahren fundiert und treffend untersucht. Seine Untersuchungen, die heute als Standardwerke zur Geschichte der Sexualität gelten, scheinen Machtan völlig unbekannt zu sein.
Machtans Buch ist angefüllt mit Stereotypen über homosexuelle Männer. In klassisch-homophober Manier werden hier Homosexuelle pauschal von einer Opfer- zu einer Tätergruppe des Nationalsozialismus gemacht. Darüber hinaus ist es auch gefährlich, weil Machtan in Hitlers angeblicher unterdrückter Homosexualität den Schlüssel zur politischen Figur Hitler sieht. Hitlers Männerbekanntschaften hätten ihm den Aufstieg zum deutschen Diktator ermöglicht, seine unterdrückte Homosexualität ihm das entsprechende Charisma verliehen. Ganz nebenbei wird Homosexualität damit einmal mehr in den Dunstkreis des Verbrechens gerückt.
Hitlers Geheimnis wird das Bild des Nationalsozialismus nicht verändern, denn es enthält keine neuen Erkenntnisse und stellt absurde Behauptungen auf. Zum Verständnis der Diktatur sind Hitlers Gefühle nicht einmal sekundär. Wichtig ist aber, dass die Geschichtswissenschaft insgesamt die Frage nach Liebe, Erotik, Sexualität und Geschlecht stärker in ihre Analysen einbezieht und nicht außen vor lässt. Hätte es 1999 eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Buch des Psychologen Manfred Koch-Hillebrecht Homo Hitler gegeben, der der angeblichen unterdrückten Homosexualität Hitlers die Schuld am zweiten Weltkrieg und am Holocaust zuschrieb, wären uns Machtans Buch und die massenhafte Verbreitung seiner Behauptungen vielleicht erspart geblieben.
 
Stefan Micheler
Dezember 2001
 

 
Micheler, Stefan: Klatsch, Tratsch und Homophobie. Eine misslungene Hitler-Biografie erregt weltweit Aufsehen. [Buchbesprechung: Lothar Machtan: Hitlers Geheimnis. 2001] In: hinnerk 12/2001, S. 19.
 


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